Diese Woche kam einer der Dorfältesten zu unserem Ausbildungscenter. Er war nicht allein, sondern hatte eine junge, schwangere Frau mit kurzen Haaren dabei: Esther sei 15 Jahre alt und seit ihrer Schwangerschaft von zuhause rausgeschmissen worden. Dass ihre Schwangerschaft ein Ergebnis von Missbrauch war, schien den Eltern dabei gleichgültig zu sein. So war Esther nun schwanger, seit Monaten obdachlos und ohne Familie. Der Dorfälteste endete seine Erklärungen mit einer Bitte: ob unsere Leute Esther aufnehmen könnten?
Unsere Mitarbeiterinnen hatten zuerst Sorge, dass sie das nicht stemmen könnten. Aber dann stimmten sie zu und nahmen Esther in die Gemeinschaft auf. Esther erhielt eine Matraze und ein Zimmer in der Nähe der anderen Familien (sie wohnen im Dorf in angemieteten Räumen). Hanifa (die Co-leiterin) nahm Esther zur Schwangerschaftsuntersuchung mit zum Arzt und auch zur dringenden Zahnarztbehandlung. Fortan könnte Esther mit der Gruppe zusammen essen, arbeiten und lernen – bis zur Geburt des Kindes vorsichtig mit der Belastung, nach einer Weile dann voll einsteigen. Esther war sprachlos!
Nachtrag: Ich habe das Projekt Dezember 2022 besucht und dabei auch Esther kurz kennengelernt. Sie kann etwas Englisch, war also zumindest in der Grundschule gewesen. Sie war zu diesem Zeitpunkt hochschwanger und vorsichtig mit körperlich anstrengenden Arbeiten, doch sie schaute trotzdem bei Übungen zu und half bei leichten Arbeiten mit. Man merkte tatsächlich, dass sie in der Gruppe integriert war. Die Frauen in unserer Gruppe haben volles Verständnis für sie, denn die haben sehr ähnliche Dinge erlebt: die meisten von ihnen sind schon ein paar jahre älter, doch sie hatten im selben Alter (oder sogar noch jünger) ihr erstes Kind. Zum Vergleich: Manche unserer Patenkinder sind schon 13, 16 oder 19 – genauso alt oder gar älter, als die Frauen während der Geburt ihres ersten Kindes sind/waren. Diese Geschichten sind ernüchternd, und es ist unfair, dass ich als Frau Ende 20 so ein anderes Leben habe. Doch man kann nicht bei der Tragödie stehenbleiben, sondern muss den Leuten dort helfen, wo sie sind. Wir können den Missbrauch, die Armut und andere Traumata nicht rückgängig machen, doch wir können den jungen Müttern eine Ausbildung ermöglichen und ihre Kinder durch Patenschaften zur Schule schicken. So ändert sich der Ausblick für die Zukunft, und das wiederum ändert das Heute: denn Hoffnung bringt Leben.